Martin Amanshauser

Ewiger Frühling in Teeland

Sri Lanka, ein heute wieder in sich ruhendes Inselgebilde mit tollen Stränden, tiefen Wäldern und hohen Bergen. Und in einer Schatulle liegt – vermutlich – Buddhas Zehe.

Öffentliches Zähneputzen am Straßenrand, 5 Uhr morgens: Der Tag in Sri Lanka beginnt früh. Besucher aus einer Weltregion, in der Zähneputzen stuhlgangähnlich als Geheimtätigkeit verborgen bleibt, freuen sich natürlich über den Anblick so vieler gesäubert werdender und sauberer Zähne. Auch sonst ist Sri Lanka knapp nach dem Ende des Bürgerkriegs eine erfreuliche Insel. Der eigensinnige Kleinstaat, der den monströsen Subkontinent-Bruder im Norden spiegelt und dann doch wieder völlig anders ist, scheint seine Ruhe gefunden zu haben. Sri Lanka wirkt wie Indien plus Entspannung minus himmelschreiender Armut. Bei der Bevölkerung stoßen Indienvergleiche aber auf Unverständnis – die Vorfahren sowohl von Singhalesen als auch von Tamilen wanderten schon vor 2.500 Jahren ein.

Erstmals seit einem halben Jahrhundert herrscht Frieden. Die Auseinandersetzung zwischen der Tamilischen Befreiungsorganisation LTTE und der Singhalesischen Zentralregierung wurde von letzterer 2009 durch Brachialgewalt entschieden. Allerdings sind nur die wenigsten unglücklich darüber. Präsident und Autokrat Rajapaksa, der dem Land neben dem Frieden einen extrem anachronistischen Personenkult verpasste, hatte sich weder von der EU noch den USA zu einer Verhandlungslösung drängen lassen – mit „entwaffnend“ guten Argumenten. Er warf den Weltmächten Heuchelei vor und verwies auf die Einmischungskriege, die diese im Nahen Osten führten.

Hört man den Leuten auf der Straße zu, so leben die drei Viertel Singhalesen (buddhistisch) recht komfortabel im gleichen Staat wie das eine Viertel Tamilen (Hindus). Auch von der muslimischen und der christlichen Minderheit – oder gegen sie – werden zur Zeit keine Boshaftigkeiten berichtet. Alle zusammen haben die Urbevölkerung, die Veddas, verdrängt, ein Jägervolk, das heute noch in geringer Anzahl in Nationalparks wohnt, wo Jagen verboten ist. (Kaum beginnen die Veddas wieder mit dem Jagen, werden sie verhaftet.)

Die rundum erneuerte Küste. Zur Politik kam noch Pech: Der Tsunami vom 26. Dezember 2004 zerstörte Küstengebiete im Süden und Westen Sri Lankas und forderte 30.000 Opfer. In der Gegend um Galle sind nun die meisten baulichen Schäden beseitigt. Hikkaduwa, einst Hippie-Kolonie, ist etwa heute ein Straßendorf mit überwältigendem Minishop-Aufkommen für den Tourismusbedarf. Wer anderswo Geschenke und Souvenirs vergessen hat, benötigt kaum eine Stunde Hikkaduwa-Aufenthalt, um die Säcke zu füllen. Wer sich mehr für das Riff interessiert, kann mit Glasbodenschiffen ausfahren.

Aber das wäre die Beschäftigung für die glücklichen Massen. So ziemlich das Gegenteil davon praktiziert man, wenige Kilometer weiter, in Ahungalla, im exklusiven Bogenvillya Ayurveda-Resort. Die Österreicher Joseph Ortner und Kathrin Messner bauten hier seit 1984 ein außergewöhnliches Projekt auf, die „One World Foundation“. Die Einnahmen aus dem familiären Ayurverda-Hotel finanzieren dabei eine lokale Schule. Es handelt sich bereits um die zweite Schule – denn die erste, direkt neben dem Hotel, wurde vom Tsunami davongeschwemmt, zum Glück ohne Todesopfer.

Nach dem plötzlichen Tod ihres Partners im Jahr 2009 ist Kathrin Messner nun alleine, doch sie setzt die Arbeit mit ungebrochenem Elan fort. „Ich lebe die halbe Zeit in Sri Lanka, die andere Hälfte in Wien“, erklärt sie, die die Tsunamiwelle nie vergessen wird: „Dieses unheimliche Dröhnen! Das Furchtbarste war, nach der ersten Welle gingen viele Familien, als sich das Meer zurückzog, genau dorthin, Fische einsammeln …“ Messner ließ und lässt nicht locker in ihrem Bestreben, Sinnvolles zu tun. Kürzlich ging sie eine Kooperation mit staatlichen Stellen ein, wonach der neue Campus der „One World Foundation“ (mehr als 1.200 Kinder, 35 Lehrer und 16 Angestellte, und nunmehr weit vom Meer entfernt) jetzt Öffentlichkeitsrecht genießt.

Mönchsfelsen und Riesenbuddha. Sigiriya, der „Felsen der Löwen“, liegt wie ein achtlos weggeworfener Kohlebrocken in der dunkelgrünen Regenwald-Landschaft. 200 Meter hoch, ist er in den Morgenstunden über steile Blechstufen besteigbar. Auf seiner Mittelplattform thronen steinerne Löwenrelikte, Tatzen in Menschenkopfgröße. Dahinter Fresken und Graffitiwände. Weiter oben, wo seit über zweitausend Jahren buddhistische Mönche meditierten, bietet sich ein atemberaubender Ausblick. Aber war es tatsächlich ein Königspalast? Die Archäologen streiten noch darüber, die Touristik mit ihrer klaren Interessenslage streitet mit, eine romantische Königsgeschichte ist besser verkäuflich.

In Sichtweite, im Örtchen Dambulla, steht der größte goldene Buddha der Welt, wiewohl er laut dem Reiseführer von Lonely Planet im Verdacht steht, nicht einmal der größte von Sri Lanka zu sein. Das wird wettgemacht durch die fast unendliche Reihe orangefarbiger Mönchsstatuen, von Äffchen umsprungen, die auf ihn zuzuströmen scheint.

Ein alter Zahn. Auf 500 Meter Seehöhe erhebt sich das zauberhafte Kandy aus dem nebligen Wald. Kandy war Hauptstadt des letzten singhalesischen Königreichs, das Holländern und Portugiesen widerstand, seine Einwohner gelten als eigenwillig und zäh. Erst 1815 wurde es von den Briten besiegt. Am malerischen See liegt der „Tempel der Heiligen Zahnreliquie“, verschlug es doch im 4. Jahrhundert v. Chr. offenbar einen Zahn des historischen Buddha nach Kandy, der in der Kolonialzeit zunehmend sakrale Bedeutung annahm. Er lud sich mit Widerstand auf. Die Portugiesen, selbst alte Reliquienmeister, machten mit diesem Aberglauben kurzen Prozess und verbrannten den heiligen Zahn feierlich. Reingefallen – denn sie hatten nur ein Duplikat ergattert. Der Buddhazahn steht nicht offen zur Besichtigung, so dass gelegentlich Zweifel aufkommen, wessen gutes Stück da eigentlich in der Schatulle liegt. Aber sind Zweifel nicht charakteristisch für Unglauben?

Gewürze, Batik und Tee. Rund um das Städtchen Matale findet man zwei merkantile Eigenheiten der Insel, Führungen, die beide in Verkaufshallen enden: Gewürzgärten und Batikfabriken. In einem von mindestens fünfzig ayurvedischen Spice Gardens arbeitet Danushka Prabat. Zunächst präsentiert er die Bäume und die dazugehörigen Gewürze. Sein Respekt vor den Besuchern steigt, wenn sie die Standards wie Ingwer, Zimt, Kakao, Muskatnuss und Vanille am Geruch erkennen. Eine Gesichtsmassage mit einer roten Balsam-Kräutermischung hat Danushka drauf, „nach der du dich zehn Jahre jünger fühlen wirst“. Sein Kollege Tissa Rathanayerka, ärztlich-weiß gekleidet, sorgt anschließend für eine ausführliche Oberkörpermassage mit Sandelholz-Öl, „gegen Falten, Sommersprossen, bei Narben und schuppiger Haut“. So sehr man durch die Massagen Lebensjahre gewinnt, so erstaunlich hoch sind die von den Chefs der beiden Handarbeiter festgelegten Gewürz- und Ölpreise. Schlaue Besucher lassen sich hier lediglich beraten und kaufen in der Stadt.

Auch am Batiksektor wird hoch gegambelt: nach einer Einführung in die Batiktechnik, die während der holländischen Kolonialzeit von Indonesien über das Meer kam, führen die Verkäuferinnen durch Säle mit abenteuerlich bepreisten Wandtüchern und Saris. Man möchte als Reiseberichterstatter die eigenen Vorlieben ja nicht allzu penetrant ins Zentrum stellen, doch nur wenige Kilometer weiter, in Kandy, beginnt die Mäanderstraße, die ins Hügelland zu den Teefeldern führt. Die Teefarms haben ebenfalls Verkaufshallen, die Tees dezente Preise, und niemand wird einen voraussichtlich mit ihnen massieren.

„Mackwoods“ bauen ein paar Kilometer vor Nuwara Eliya seit 1841 ihren Tee an, der traditionell von tamilischen Frauen gepflückt wird. Diese verdienen kolportierte 300 Rupien pro Tag, etwas mehr als 2 Euro. Wer mehr als 15 Kilo pflückt, erhält Zulagen. Männerarbeit ist das Schneiden der Teepflanzen und das Ausschneiden der Durchgangswege zwischen ihnen – macht auch mehr Spaß.

Die Teegebiete werden von einer der schönsten Eisenbahnen der Welt durchfahren, von Kandy hinauf nach Nuwara Eliyah (1889 Meter), und von dort wieder hinunter bis Ella und Badulla: Eine gemächliche Reise durch den ewigen Frühling. Oben wehen bedeutend kühlere Winde, die hellgrüne Landschaft hat wenig mit dem Rest von Sri Lanka gemein. Tiefe Schluchten und an den Gegenhängen wieder Tee, Tee und Tee, mit den pittoresken weißen Pünktchen, in die sich Pflückerinnen aus der Distanz verwandeln.

Elefanten hoch, Essen scharf. Die lokalen Elefanten, für Besucher zu Mietzwecken zugänglich, sorgen für eine ayurvedische Hinternmassage von unten, aber Vorsicht, das Essen ist scharf. Nicht einfach scharf, sondern besonders scharf. Dafür sorgen neben dem Chili die kleinen Blätter namens Mallung, die in die Currys gemischt werden. Zum Beispiel im Ramada Hotel im Bergdorf Ella, Ausgangspunkt für Wanderungen entlang von Wasserfällen und frischen Bergbächen, aber auch einer der versteckten kulinarischen Höhepunkte der Insel. Reis und Kartoffeln, oft zusammen, kommen in kleinen Schälchen, ebenso wie die wunderbarsten Kokossaucen und der legendäre tamilische Tamarindenreis. Einige Speisen erscheinen in der „devilled“-Variante in meist braunroter Sauce, wo Fisch, Huhn oder Fleisch in Würfel geschnitten werden. Schärfer geht es auf Anfrage immer. Aber ob das „devilled“ mit dem Teufel zu tun hat, mag kein Mensch in Sri Lanka bestätigen.